Soziales (Schul-)Netzwerk – ein Erfahrungsbericht

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Soziale Netzwerke sind in letzter Zeit ja nicht besonders positiv aufgefallen: Manipulation der Nutzer, Datenlecks, Verlust an Privatsphäre und sogar eine Gefahr für unsere demokratischen Werte, das sind nur einige der Argumente, die dieses Medium in ein schiefes Licht rücken. Wie immer, wenn eine solche Bedrohung auftaucht, wird sie auch in der Schule thematisiert, am naheliegendsten meistens verboten. Das fand ich aber genau den falschen Weg, wenn etwas gefährlich ist, sollte man sich möglichst intensiv damit beschäftigen und wenn Schülerinnen und Schüler in einem geschützten Umfeld mit Social Media experimentieren können, werden sie vorsichtiger damit umgehen.

Meine Motivation als Lehrer

Seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit sozialen Netzwerken und bin auch selber auf einigen präsent. Nach zahlreichen Beobachtungen bei meinen Schülerinnen und Schülern merkte ich, dass der Austausch über soziale Medien sehr beliebt ist. Es dauert meistens nicht lange, wenn ich an einem neuen Ort arbeite, bis mich Schüler und Schülerinnen und manchmal auch Eltern auf Youtube finden und mir das mitteilen. Meine Frage war deshalb, wie kann man die Faszination von Social Media nutzen, um damit das Lernen zu fördern? Erste Experimente machte ich schon vor zwei Jahren, als wir mit einer Klasse eigene Hörverstehen schrieben, aufnahmen und in anonymisierter Form auf Youtube publizierten. Die Schüler und Schülerinnen fanden diese Form sehr attraktiv und sie schauten sich die Videos gerne an. Andererseits war mir aber auch schnell klar, dass man ein so grosses öffentliches Netzwerk nicht für einen personalisierten schulischen Kontext brauchen konnte. Ich suchte deshalb nach Alternativen im Opensource Bereich und fand Firmen, die gute Opensource-Netzwerke anbieten. Nach einigem Ausprobieren entschied ich mich schliesslich für Humhub. Die Plattform überzeugte mich in vielen Punkten:

  • Die Opensource-Version ist kostenlos und ist bereits mit sehr vielen Werkzeugen ausgestattet
  • Die Oberfläche ist einfach zu bedienen, alles ist responsive und auch auf dem Handy bestens nutzbar.
  • Die Software hat bereits viele Übersetzungen, so können auch Schüler und Schülerinnen mit anderen Muttersprachen sich darin zurechtfinden.
  • Ein ausgefeiltes Benutzermanagement erlaubt die Erstellung von Gruppen.
  • Auf einem eigenen Server installierbar.
  • Mit Modulen erweiterbar.

Ein weiterer Grund lag in der Schule, wo ich meine neue Stelle bekam: Seit dem neuen Schuljahr steht allen Schülerinnen und Schülern ab der 5. Klasse ein Laptop zur Verfügung. Diesen Umstand wollte ich nutzen, um diesem Gerät eine regelmässige und fürs Lernen nützliche Verwendung zu geben. Der Schulleiter war von Anfang an überzeugt und gab mir grünes Licht das Experiment zu starten.

Reaktion der Klasse

Als ich das Netzwerk mit den Schülerinnen und Schülern in Betrieb nahm, erstaunte mich zuerst ihre Reaktion: Die Elfjährigen – also allesamt Digital Natives – waren zwar interessiert, doch eine aufgeweckte Schülerin fragte mich: «Herr Walder, für was soll denn das jetzt gut sein?» Diese Reaktion war für mich sehr unerwartet, ich dachte mir, dass Kinder von heute den Nutzen und die Gefahren eines sozialen Netzwerks kennen würden. Die konkrete Verwendung war also auch den Kindern nicht so klar. Als Erstes durften die Kinder ihr Profil personalisieren und je ein Profil- und ein Hintergrundbild wählen. In den ersten zwei Wochen schrieben wir zwei Texte, den einen über wichtige Gegenstände im eigenen Zimmer, der andere war eine selbst erfundene Geschichte. Das Netzwerk wurde so zu einem digitalen Heft, das jederzeit alle der Klasse anschauen konnten. Dann kamen bald Fragen zur Privatsphäre auf: Nicht alle Kinder wollten, dass die ganze Klasse ihre Texte sehen konnte. Wir besprachen das Thema und fanden eine Möglichkeit, dass nur Freunde die Texte sehen konnten. Seit diesem Zeitpunkt dürfen die Schülerinnen und Schüler selber entscheiden, ob sie ihren Text für alle zugänglich machen oder nur für ihre im Netzwerk deklarierten Freunde.

Natürlich funktionierte nicht immer alles einwandfrei: Einmal schrieb eine Schülerin destruktive Kommentare und ein andermal wurde in einer geschlossenen Gruppe über ein anderes Kind gelästert. Diese kleinen Zwischenfälle wurden besprochen und die entsprechenden Kinder entschuldigten sich bei den Betroffenen. Besonders wichtig waren diese Ereignisse in der Anfangsphase, es war wichtig den Kindern den Eindruck zu vermitteln, dass das Netzwerk kein rechtsfreier Raum war und dass auch hier Regeln des gegenseitigen Respekts gelten.

Nutzen des Netzwerks im Klassenalltag

Nach 6 Wochen intensiver Nutzung, haben wir verschiedene Einsatzarten gefunden, die uns den Schulalltag erleichtern oder vorhandene Möglichkeiten erweitern:

  • Digitales Heft: Die Schülerinnen und Schüler sind motivierter, wenn sie ihre Texte mit anderen teilen können und sie geben sich mehr Mühe, als wenn sie diese nur ins Heft schreiben.
  • Digitale Sammelmappe: Humhub bietet die Möglichkeit sogenannte «Spaces» zu erstellen. In einem Space können die Kinder einer Arbeitsgruppe Links, Texte, Bilder, Töne etc. posten. Die anderen Teilnehmer können diese später nutzen um z.B. eine Präsentation oder ein Dokument zu gestalten.
  • Mittel um sich besser kennen zu lernen: Auf ihrem jeweiligen Profil, können die Schülerinnen und Schüler, Links zu Videos, Bilder, Texte, Audios etc. publizieren.
  • Schulkalender: Geburtstage, Prüfungstermine und Ferien lassen sich im Klassenkalender eintragen und die Kinder können sich jederzeit einen Überblick darüber verschaffen, was demnächst ansteht.
  • Rückmeldungen: Mit privaten Nachrichten kann man den Kindern jederzeit Rückmeldungen geben und diese können darauf reagieren.
  • Fotos teilen: Bilder von gemeinsamen Ausflügen können in einer Galerie publiziert werden.
  • Lernziele und Übungsmaterial: Bei einer anstehenden Prüfung werden die Lernziele publiziert und in den Kommentaren können Links zu Übungsmöglichkeiten hinzugefügt werden. Es ist manchmal erstaunlich, was die Kinder alles finden, wie man das Thema vertiefen kann.

Dies sind nur einige von vielen weiteren Varianten, mit der man ein Klassennetzwerk gestalten kann. Auch wenn einige Kinder das Netzwerk in ihrer Freizeit nutzen, ist es keinesfalls das Ziel reale Begegnungen zu ersetzen oder die Kinder länger vor dem Bildschirm zu haben. In vielen Konversationen im Chat hat es sich herausgestellt, dass die Kinder diesen dazu benutzen Termine zu koordinieren, um sich an einem Ort zu treffen.

Reaktion der Eltern

Am Elternabend wurde das Netzwerk den Erwachsenen vorgestellt. Die Reaktionen waren erwartungsgemäss weniger euphorisch, da das Thema doch eher negativ besetzt ist. Die Eltern sahen den Einsatz eher kritisch und der eine oder andere wird sich gefragt haben «Muss jetzt die Schule das auch noch machen?». Trotz allen Vorbehalten wurde keine offene Opposition gegen den Einsatz geleistet. Ich bin aber überzeugt, dass sich die Eltern nach einer Weile von den positiven Eigenschaften überzeugen lassen. Inzwischen haben die Eltern einen gemeinsames Konto für das Klassennetzwerk und sie nutzen die Möglichkeit rege, das Geschehen auf dem Netzwerk mitzuverfolgen. Kollaborationen aller Art können ebenfalls auf diese Art organisiert werden, so hatten wir innert drei Tagen alle Lebensmittel für unser Klassenlager gesammelt. Da mit Hilfe der Kommentare alle sehen wer was mitbringt, entfällt für die Klassenlehrkraft einiges an administrativem Aufwand.

Fazit

Nach 1.5 Jahren sehe ich den Nutzen des Netzwerks sehr positiv. Die Möglichkeiten sind vielfältig und werden vielen Themen der Digitalisierung und auch des Lehrplan 21 gerecht. Es hat sich aber gezeigt, dass so ein Netzwerk kein Selbstläufer ist. Vor allem die Anfangsphase ist intensiv und die Lehrkraft muss vom Nutzen überzeugt sein und aktiv dazu beitragen die Möglichkeiten von Social Media in der Klasse zu nutzen. Missbrauch muss von Anfang an thematisiert werden und es braucht eine aufmerksame Beobachtungsphase, um zu zeigen, dass Missbrauch nicht toleriert wird. Erst dann wird sich das Netzwerk in der Klasse positiv entwickeln und mit der Zeit als nützliches Arbeitsinstrument etablieren. Ich möchte jedenfalls nicht mehr darauf verzichten.

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